Preisträgerin 2011
Felicitas von Lovenberg

 

Auszug aus der Laudatio von Helmut Ahrens

Sie ist keine Literaturkritikerin sondern eine Rezensentin, sagt sie. Sprache darf alles, auch unterhalten, hat sie erkannt. Dem Hohen, dem Weihevollen begegnet sie mit Misstrauen. Das Intellektualisierte beschaut sie aus vorsichtiger Distanz. Gute Geschichten bereiten ihr Freude: Als Buch, als „Audio-Book“, als Fernsehspiel. Ihr journalistischer Blick auf die Literatur ist nicht ohne angelsächsischen Pragmatismus. Wie sie überhaupt den Anteil des Britischen an der europäischen Kultur nicht ohne Gewogenheit beleuchtet. Literatur ist Gedächtnis und Ausblick, weiß sie und schreibt: „Romanleser sind die besseren Menschen“.

Felicitas von Lovenberg wird in Münster geboren. Das Mädchen wächst weit vor der Stadt auf dem Land auf. Dem Kind Felicitas schließt der Märchen vorlesende Vater das Tor zur Literatur auf. „Es gibt nichts, was der Offenbarung großer Literatur gleich kommt“, wird von Lovenberg später sagen.
Die junge Frau geht aufs "College of the Atlantic“ an der Südküste von Wales, beendet dort die Schule mit einem internationalen Abschluss.

Felicitas von Lovenberg bleibt in England. Sie studiert Neuere Geschichte an der University of Bristol. Später in Oxford – und dort am St Antony’s College – legt sie ihre Abschlussarbeit vor.

Im Sommer 1994 geht von Lovenberg nach New York.
Die junge Historikerin erlebt die Kunstwelt als Markt und folglich das Kunstwerk als Ware. Im wohl traditionsreichsten Auktionshaus der Welt, dem 1766 von James Christie gegründeten und nach ihm benannten Unternehmen, erlebt von Lovenberg, dass es für das Ungewöhnliche, das Kostspielige, das Gelungene, das Schöne, das Seltene, das Außergewöhnliche und das Einzigartige immer und zu allen Zeiten einen Käufer gibt. Und sie erfährt, dass der Grat zwischen einem annähernd verschollenen, ja zu recht vergessenen Objekt, und einem als atemberaubend, ja hochwertig geltendem Kunstwerk, je nach Gutachten und Urteilslage, wunderlich schmal zu sein vermag.

Nicht zuletzt ihrer Lust am Schreiben wegen geht die junge Frau zurück nach Deutschland. Fügt eine nachgerade altmodische, Lehrzeit in ihren Lebenslauf, eine journalistische, gut drei Jahre lang.

In der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begegnet Felicitas von Lovenberg einem Mann, der ihr zeigt, wie intensiv man sich mit Kunst zu beschäftigen vermag: Mit und bei Eduard Beaucamp lernt von Lovenberg wie das Beschauen von Kunst, nicht ohne Leidenschaft in Sprache gegossen werden kann… Handwerk und Passion.
Und wie sie schreibt: Mit selbstgewisser Autorität, kenntnisreich, häufig humorvoll, immer informierend, dem Lob mehr zugeneigt als dem Verriss, manches mal gezielt fördernd, häufig genug mit spürbarer Begeisterung.

Die Filmrezensentin, Kritikerin, Autorin war seit dem Jahr 2008 verantwortliche Redakteurin für Literatur und literarisches Leben, so die nüchterne Positionsbeschreibung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Felicitas von Lovenberg ist die erste Frau auf diesem in der Welt des Buches nicht unwichtigen Posten.
Die Fernsehfrau, die Redakteurin, die Kritikerin weiß, dass die Literatur im Buch Teil eines Marktes ist. Diesen großen, vielgefächerten Markt beobachtet Felicitas von Lovenberg nicht als Volkswirtin sondern als Kulturjournalistin: Welche Chance hat das Lesen? Wie bringt man junge Menschen zum Buch, an den Text, zur Literatur?
Welchen Raum nimmt Literatur überhaupt in unserer Lebenswirklichkeit mittlerweile ein?
Von Lovenberg ist die Vorkosterin von, so hofft sie, Köstlichkeiten, die erste Leserin. Sie ist mitreissend, weil sie uns zum Lesen verführen möchte. Ihre Kritiken, ihre Rezensionen beinhalten das dauerhafte Angebot der Teilhabe: Versuch es selbst, schau hin, hör zu, schlag auf!

In der weiten Mitte ihres klaren Blickfeldes stehen die Autoren mit ihren Werken. Sprache und Handlung, erdachtes und mitgeteiltes Leben, das Dichten, das Erzählen, fabulierte Welten oder geformte Erfahrung, die hellsichtige Frau aus dem Münsterland öffnet für uns alle mit wacher Neugier und mit ehrlicher Gewogenheit die Buchseiten. Ja: „Romanleser sind die besseren Menschen.“

Der Hildegard-von-Bingen-Preis 2011 geht an die Historikerin, Journalistin, Literaturkritikerin und Autorin Felicitas von Lovenberg.